Linnemann, Markus (2014). Kognitive Prozesse der Adressatenantizipation beim Schreiben. PhD thesis, Universität zu Köln.

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Linnemann-2014-Kognitive_Prozesse_der_Adressatenantizipation_beim_Schreiben.pdf - Updated Version

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Abstract

Im Fokus dieser Untersuchung stand die Textproduktion aus kognitiver Sicht. Diese umfasst im Wesentlichen vier Wissensbereiche. Neben dem thematischen und linguistischen Wissen, widmete sich die Arbeit vor allem dem pragmatischen, insbesondere dem Adressatenwissen und den dazugehörenden Prozessen. Es wurde dargestellt, dass der Adressat aufgrund seiner räumlichen und zeitlichen Distanz vom Schreiber antizipiert werden muss, wenn er erfolgreich kommunizieren will. Adressatenantizipation wurde definiert als kognitive Vorwegnahme, also als eine mentale Repräsentation eines potenziellen Lesers (oder einer Leserschaft) mit seinen (ihren) bestimmten kognitiven, affektiven und motivationalen Verständnisvoraussetzungen. Studien zeigten, dass diejenigen Schreiber adressatenorientiertere Texte schrieben, die drei mentale Repräsentationen miteinander vergleichen konnten: die Repräsentation ihres intendierten Textes, die des geschriebenen und erneut gelesenen Textes und die Repräsentation, wie ein potentieller Leser seinen Text verstehen würde. Die Studien konnten jedoch nicht detailliert zeigen, wie und wann dies genau geschah. Die zentralen Fragestellungen der Arbeit waren daher: (1) Antizipieren die Schreiber den Adressaten während sie schreiben? (2) Wenn die Schreiber den Adressaten während des Schreibprozesses antizipieren, wann tun sie dies und mit welcher Wirkung? (3) Gibt es bestimmte Stellen, an denen die Adressatenantizipation eine größere Rolle spielt als an anderen? Die empirischen Ergebnisse wurden auf der Grundlage der gängigen Schreibprozessmodelle und der kognitiven Architektur ACT-R Anderson (1983, 1993, 2007) interpretiert. Bisher haben kognitive Schreibprozessmodelle, trotz häufiger Forderung, nicht auf solche zurückgegriffen. Die vorliegende Studie ist als Versuch zu sehen, die Adressatenantizipation im Lichte einer solchen kognitiven Architektur zu begreifen. In einem experimentellen Setting schrieben 37 Studierende am Computer persuasive Texte mit dem Thema „Soll unsere Cafeteria geschlossen werden und sollen die frei werdenden Mittel anders genutzt werden?“ Das Design der Studie war als Between-Design angelegt, d.h. jeder Studierende schrieb einen Text an jeweils einen Adressaten. Die Adressaten unterschieden sich im Bekanntheitsgrad: In einer Versuchsbedingung schrieben die Studierenden an einen Freund/eine Freundin, in der anderen Bedingung an einen Mitarbeiter der Universität, Herrn Much. Der Schreibprozess wurde mit Hilfe des Keystroke Loggings aufgezeichnet. Ausgewertet wurden Pausenzeiten und Revisionsprozesse, die im Anschluss mit Hilfe eines tape-recorded stimulated recalls besprochen und validiert wurden. Zentrale Ergebnisse der Studien waren: (a) Die Probandinnen und Probanden haben während des Schreibprozesses mindestens einmal an den Adressaten gedacht. Es zeigte sich jedoch, dass verschieden bekannte und komplexe Adressaten sich nicht unstrukturiert auf den Schreibprozess auswirken. In beiden Versuchsbedingungen zeigten sich einige lange Pausen während des Schreibprozesses, in denen prinzipiell mit dem Adressaten verbundene Ziele und mentale Repräsentationen verarbeitet werden könnten. (b) Die größten Pausenzeitdifferenzen zeigten sich zwischen Sätzen und Absätzen, also an den Stellen, an denen es sinnvoll erscheint, den bereits geschrieben Text mit der Repräsentation der eigenen Ideen sowie mit der Repräsentation der Interpretation eines antizipierten Adressaten zu vergleichen. Nach dem ACT-R-Modell wird der mit Hilfe des visuellen Moduls aufgenommene selbst verfasste Text (bzw. ein Teil des Textes) zunächst verstanden und als mentale Repräsentation in das Imaginal Modul verschoben, wo es zur Weiterverarbeitung, zum Beispiel zum Vergleich, bereit steht. Die Pausenzeitdifferenzen innerhalb eines Wortes waren gering. Das Tippen eines Wortes ist also weitgehend prozeduralisiert, einen Einfluss von pragmatischen Zielen in Form einer Adressatenantizipation ist hier unwahrscheinlich. Es scheint sinnvoll anzunehmen, dass der Vergleich der mentalen Repräsentationen nicht zwischen den einzelnen Buchstaben innerhalb eines Wortes stattfindet, sondern an ‚globaleren‘ Stellen, wie zwischen zwei Sätzen oder Absätzen. (c) Versuchspersonen der Versuchsbedingung mit dem bekannten Adressaten korrigierten mehr Tippfehler. Dies wirkte zunächst widersprüchlich. Eine Erklärung wäre, dass sich Tippfehler weitgehend der Kontrolle entziehen, d.h., beim kompetenten Schreiber werden beim schnellen Schreiben häufiger Tippfehler gemacht, aber auch automatisiert wieder verbessert. Diese stark prozeduralisierten Prozesse sind weitgehend unabhängig von hierarchiehöheren Zielvorgaben aus dem Goal Modul, zu denen die Adressatenorientierung und -antizipation gehören. Mehr Tippfehlerkorrekturen bei gleichzeitigem schnellen Schreiben bedeutet hier also weniger Kontrolle, denn ein höheres Maß an Kontrolle, besonders durch pragmatische Prozesse, würde den Schreibfluss zum Erliegen bringen. (d) Es zeigte sich bei den Versuchspersonen, die an ihren Freund geschrieben hatten, zwar häufigeres Korrigieren von Tippfehlern am aktuell geschriebenen Text (‚präkontextuell‘), nicht jedoch hinsichtlich des Korrigierens von Tippfehlern im Text, der zuvor geschrieben wurde (‚kontextuell‘). Hier machten diejenigen, die an einen unbekannten Adressaten schrieben, mehr Korrekturen. Dies ist dadurch zu erklären, dass kontextuelle Revisionen unter der Kontrolle des pragmatischen Wissens stehen. Des Weiteren zeigte sich, dass kontextuelle Revisionen, und dort insbesondere jene, die die inhaltliche Struktur des Textes entweder auf Mikro- oder Makroebene änderten, häufiger von den Versuchspersonen gemacht wurden, die an den unbekannten Adressaten schrieben. Dies lässt sich damit erklären, dass an einen unbekannten Adressaten mehr Informationen explizit vermittelt werden müssen, was wiederum einen höheren kognitiven Aufwand erfordert, der während es Schreibens nicht zu leisten ist.

Item Type: Thesis (PhD thesis)
Translated title:
TitleLanguage
Cognitive Processes of Audience Anticipation During WritingUNSPECIFIED
Translated abstract:
AbstractLanguage
Anticipating the audience is crucial for successful writing. Since the seminal work of Hayes and Flower in the 1980s, different cognitive process models of text composition were developed and elaborated. In all of these models, features of the audience are integrated but not elaborated in detail. The aim of the presented study is to explore when, why and how the addressee is anticipated during writing and how the required knowledge base can be described. The results will be situated in a general architecture of cognition, Andersons ACT-R-model, taking into account procedural and declarative knowledge. I designed an experiment with the addressee (“friend” vs. “employee of the university”) as the independant variable and pause times and revision processes as dependant variables. 64 university students wrote a persuasive text which was recorded by means of keystroke logging software (“scriptlog”). Afterwards the process was replayed and the students were asked to comment on pauses and revisions. The results show an influence of the addressee on pause times and revision processes. Subjects assigned to the “employee”-condition needed about 1 SD longer than the participants of the “friend” condition although the number of words in the final text was the same. Detailed analyses revealed that the “higher” the hierarchical level, the larger the difference in pause time is: No differences were found within words, small differences were found between words and very large between paragraphs with longer pauses in the “employee”-condition due to higher cognitive constraints concerning the audience during macroplanning (e.g. goal setting) than in local coherence phases. There were also significant differences in revision processes. Subjects assigned to the “employee”-condition revised in different positions and with different effects on the text. The results have implications for the development of writing tasks both for assessment and instruction.English
Creators:
CreatorsEmailORCIDORCID Put Code
Linnemann, Markusmarkus.linnemann@uni-koeln.deUNSPECIFIEDUNSPECIFIED
URN: urn:nbn:de:hbz:38-58596
Date: 2014
Language: German
Faculty: Faculty of Human Sciences
Divisions: Faculty of Human Sciences > Department Psychologie
Subjects: Psychology
Language, Linguistics
Germanic
Uncontrolled Keywords:
KeywordsLanguage
Writing, Cognitive Processes, Keystroke Logging, ACT-R, Revisions, Pause TimesEnglish
Schreiben, kognitive Prozesse, Keystroke Logging, ACT-R, Revisionen, PausenzeitenGerman
Date of oral exam: 25 June 2014
Referee:
NameAcademic Title
Aschermann, EllenProf. Dr.
Becker-Mrotzek, MichaelProf. Dr.
Refereed: Yes
URI: http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/5859

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