Nienaber, Stephan ORCID: 0000-0001-5779-7549
(2022).
Thymektomie bei Thymom und Myasthenia gravis: Vergleich MIC-Thymektomie vs. Sternotomie.
PhD thesis, Universität zu Köln.
Abstract
Trotz moderner immunsuppressiver und chirurgischer Therapie stellt die Myasthenia gravis weiterhin eine ernstzunehmende Autoimmunerkrankung dar, die mit einer deutlichen Ermüdbarkeit der Muskulatur und hohem Leidensdruck einhergeht. Durch Bildung von Antikörpern werden Acetylcholin-Rezeptoren im synaptischen Spalt blockiert. Langfristig kann es über die Aktivierung des humoralen Komplementsystems und das Auslösen einer Immunreaktion zu einer dauerhaften Zerstörung der postsynaptischen Rezeptoren an der neuromuskulären Endplatte verschiedener Muskelgruppen kommen. Obwohl moderne Therapien eine langfristige Remission der Erkrankung herbeiführen können, ist eine komplette Heilung in den meisten Fällen ausgeschlossen. Zusätzlich sind die konventionellen Therapien aufgrund von Nebenwirkungen und dem individuell sehr unterschiedlichen therapeutischem Ansprechen limitiert (Wang et al., 2018). Eine Heilung der Patienten ist nur in wenigen Fällen beschrieben und kann allenfalls durch eine multimodale Therapie mit chirurgischer Resektion des Thymus (Thymektomie) erfolgen. Aufgrund dessen und der Annahme, dass die Thymektomie zum Erreichen einer stabilen Remission beiträgt, hat die Thymektomie bereits seit Jahrzehnten ihren festen Platz in der Therapie der Myasthenia gravis, obwohl kontrollierte, randomisierte Studien zur Effektivität der Thymektomie bis vor kurzer Zeit fehlten (Melzer et al., 2016).
Die ersten Ergebnisse einer randomisierten Studie zur Effektivität der Thymektomie wurden im Jahre 2016 publiziert. Es konnte erstmals bewiesen werden, dass die Thymektomie eine entscheidende Rolle in der Therapie der Myasthenia gravis einnimmt, denn bei insgesamt 126 Patienten, die auf zwei Gruppen randomisiert wurden, zeigte die Studie einen Vorteil für die Thymektomie. In der ersten Gruppe wurden die Patienten ausschließlich mit Prednison behandelt, während Patienten der Vergleichsgruppe Prednison und eine Thymektomie erhielten. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie sind, dass die Patienten der Thymektomie-Gruppe einen niedrigeren, durchschnittlichen QMG-Score (6.15 vs. 8.99, p <0.001) sowie eine niedrigere mittlere Prednison-Dosis (32 mg vs. 54 mg, p<0.001) über eine dreijährige Periode aufwiesen als Patienten in der Vergleichsgruppe, die ausschließlich Prednison erhielten. Außerdem benötigten in der Thymektomie-Gruppe weniger Patienten eine immunsuppressive Therapie mit Azathioprin als in der Prednison-Gruppe (17% vs. 48%, p<0.001). Mit der geringeren Notwendigkeit für Immunsuppressiva erklärt sich die geringere Rate an Nebenwirkungen in der Thymektomie-Gruppe (p<0.001). Auch die Hospitalisierungsrate aufgrund von Exazerbationen war in der Thymektomie-Gruppe deutlich niedriger (9% vs. 37%, p<0.001) (Wolfe et al., 2016).
Zu erwähnen ist jedoch, dass eine Besserung der Symptomatik nach Thymektomie in vielen Fällen erst nach mehreren Monaten oder Jahren eintreten kann (Cabrera-Maqueda, Alba-Isasi, Hernández, Arroyo-Tristán, & Morales-Ortiz, 2020; Yu et al., 2015).
In der Folge haben die vielversprechenden Ergebnisse der randomisierten Studie einen Anstoß zum Vergleich der Effektivität verschiedener chirurgischer Techniken geliefert. Insbesondere minimal-invasive Verfahren sind aufgrund ihres weniger traumatischen und ästhetischen Ansatzes interessant. Die Suche nach einem optimalen chirurgischen Verfahren ist auch heute nicht abgeschlossen und unterliegt aufgrund des kontinuierlichen technischen Fortschritts einem stetigen Wandel. Die Zielsetzung dieser Studie ist daher, einen Beitrag zur Etablierung eines minimal-invasiven Verfahrens zu leisten und die Effektivität im Vergleich zur offen chirurgischen Therapie zu untersuchen. Konkret werden hier der Zugang über eine offene Sternotomie mit der minimal-invasiven video-assistierten thorakoskopischen Chirurgie (VATS) verglichen.
Zunächst konnte die Effektivität der Thymektomie anhand eines Vergleiches der prä- und postoperativen Medikation sowie der prä- und postoperativen Scores (MG-ADL, MG-QoL-15) belegt werden. Die Pyridostigminrate des Gesamtkollektivs lag ein Jahr nach Thymektomie bei 61,7 %, was im Vergleich zur präoperativen Rate (83 %) eine signifikante Reduktion bedeutet (p =0,039). Die Anzahl der Patienten, die Kortison benötigen, war ein Jahr nach der Operation ebenfalls deutlich geringer (p =0,001). Die anfängliche, tägliche Kortisondosis (9,8 mg) konnte nach einem Jahr auf 4 mg und nach 3 Jahren auf 3,8 mg gesenkt werden (p <0,001; p =0,005), womit die Cushing-Schwelle unterschritten ist. Entsprechend der reduzierten Medikamenteneinnahme, konnte auch eine Reduktion des MG-ADL und des MG-Qol-15-Scores verzeichnet werden. Der präoperative MG-ADL (5,1 Punkte) lag ein Jahr nach Thymektomie bei 2,1 Punkten (p <0,001) und drei Jahre nach der Operation bei 3,1 mg (p <0,005). Zwischen den prä- und postoperativen Parametern der beiden verglichenen Operationstechniken ergaben sich keine signifikanten Unterschiede, sodass von einer vergleichbaren Effektivität beider Techniken oder einer Nicht-Unterlegenheit der MIC-Thymektomie im Vergleich zur offen chirurgischen Therapie auszugehen ist.
Die einzige Ausnahme ist die postoperative Kortisonrate, welche nach MIC-Thymektomie sogar signifikant niedriger als nach offener Sternotomie ist (p =0,04), was den Vorteil der minimal-invasiven Methode unterstreicht. Die demographischen und klinischen Charakteristika beider Gruppen sind ebenfalls weitestgehend vergleichbar. Allerdings ist zu erwähnen, dass sie sich in zwei Punkten signifikant unterscheiden. Zum einen lag bei 50 % der Patienten in der Sternotomie-Gruppe ein Thymom vor, während es in der MIC-Gruppe nur bei 11,4 % der Patienten vorlag (p = 0,01). Außerdem ergaben sich signifikante Unterschiede bezüglich der vorliegenden Myasthenieformen in beiden Gruppen (p = 0,017). Während bei den Patienten in der MIC-Gruppe häufig eine Early-onset MG oder eine Late-onset MG vorlag, war in der Sternotomie-Gruppe die Thymom-assoziierte MG vorherrschend (s. Tabelle 15).
Der entscheidende Vorteil der MIC-Thymektomie gegenüber der offenen Sternotomie liegt in der kürzeren stationären Verweildauer. Diese zeigte sich mit 7,4 Tagen nach MIC-Thymektomie signifikant kürzer als nach offener Sternotomie, die einen stationären Aufenthalt von 11,9 (SD: +/- 9,9) Tagen zur Folge hatte (p =0,043). Ferner war die Verweildauer auf der Intensivstation nach MIC-Thymektomie kürzer als nach Sternotomie. Bei einem p-Wert von 0,054 ist dieser Unterschied allerdings knapp oberhalb Signifikanzniveau. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass es sich bei der MIC-Thymektomie um das schonendere Verfahren handelt, da sich die Patientin schneller von dem Eingriff erholen und weniger intensivmedizinischer Betreuung benötigen. Der minimalinvasive Ansatz scheint zudem der kosteneffektivere zu sein, da bei geringerer Verweildauer mehr Patienten pro Jahr behandelt werden können.
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