Olschewski, Petra ORCID: 0000-0001-9459-3342 (2024). Forschendes Lernen im Lehramtsstudium Biologie. Dokumentarische Rekonstruktionen studentischer Experimentier- und Protokollierprozesse. PhD thesis, Universität zu Köln.

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Abstract

In der Biologiedidaktik wird Forschendes Lernen als Lehr-/Lernform an Schulen und Hochschulen empfohlen, um – im Gegensatz zu traditionellen wissensvermittelnden Ansätzen – ein vertieftes Verständnis für naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung bei den Lernenden zu erreichen. Durch das eigenständige Durchlaufen der verschiedenen Phasen des (idealisierten) hypothetisch-deduktiven Forschungsprozesses sollen das wissenschaftliche Denken sowie die manuellen Fertigkeiten und das Wissenschaftsverständnis bei den Lernenden gefördert werden. Überwiegend wird im Rahmen Forschenden Lernens die Erkenntnismethode des Experimentierens eingesetzt, die auch in der vorliegenden Arbeit Untersuchungsgegenstand ist. Zusätzlich zum Experimentieren wird als zweite Handlungspraxis das Protokollieren in den Blick genommen. Protokolle werden im Rahmen von experimentellen Labortätigkeiten angefertigt, um diese zu dokumentieren und replizierbar zu machen. Im Zusammenhang mit Forschendem Lernen wird das Protokollieren außerdem als förderlich für das wissenschaftliche Denken angesehen. Studien aus der Naturwissenschafts- bzw. Biologiedidaktik untersuchen forschendes Experimentieren bislang v. a. ausgehend von Kompetenzmodellen hinsichtlich der Experimentierkompetenzen von Lernenden, wobei verschiedene Methoden (z. B. schriftliche Tests; qualitativ-deduktive Analysen von Performance Assessments) eingesetzt werden. Die Befundlage zeigt, dass sowohl bei Schüler*innen, aber auch bei (Lehramts-)Studierenden Schwierigkeiten und Defizite beim forschenden Experimentieren und Protokollieren festgestellt werden können. Die vorliegende Arbeit möchte zu einer Erweiterung der Erkenntnisse zu Experimentier- und Protokollierprozessen im Rahmen Forschenden Lernens beitragen und fokussiert dabei Lehramtsstudierende der Biologie, deren Verständnis von naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung als spätere Vermittler*innen im eigenen Biologieunterricht besonders relevant ist. Dabei werden das kollaborative Experimentieren und Protokollieren der Studierenden nicht präskriptiv anhand vorliegender Kompetenzmodelle kategorisiert und evaluiert, sondern mittels eines rekonstruktiven Analyseverfahrens, der Dokumentarischen Methode, untersucht. Kennzeichnend für die Dokumentarische Methode ist, dass neben expliziten Wissensbeständen (was wird gesagt und getan?) auch ein Zugang zu den impliziten, sogenannten handlungsleitenden Orientierungen (wie wird das Thema behandelt und was ist unbewusst handlungsleitend?) der Studierenden ermöglicht wird. Die Logik und Handlungsmuster, die sich in der sozialen Praxis zeigen, werden fernab der normativen Erwartungen an Forschendes Lernen rekonstruiert, sodass Fragen wie „Was leitet die Handlungen der Studierenden in einer als Forschendes Lernen angelegten Gruppenarbeit?“ und „Wird eine forschende Haltung bei den Studierenden sichtbar oder ist die Situation durch andere handlungsleitende Orientierungen geprägt?“ unter Einbezug der Interaktion zwischen den Akteur*innen beantwortet werden können. Dazu wurden Videographien von vier studentischen Gruppenarbeiten erstellt, in denen ausgehend von einer vorgegebenen Fragestellung und einer Auswahl an Experimentiermaterialien gemeinsam ein Experiment durchgeführt sowie ein Protokoll angefertigt wurde. Die Analyse erfolgte dann mit der Dokumentarischen Methode unter Fokussierung auf die beiden Handlungspraktiken „Experimentieren“ sowie „Protokollieren“. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Studierendengruppen generell eine Orientierung an Aufgabenerledigung aufweisen. Außerdem ist ihr Vorgehen durch Unsicherheit geprägt. Die Studierenden sind an der Richtigkeit der Aufgabenbearbeitung orientiert und sichern diese anhand des bereitgestellten Materials ab. Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich des experimentellen Vorgehens zeichnen sich dadurch aus, dass entweder hypothesenbasiert oder materialbasiert vorgegangen wird. Dabei ist das hypothesenbasierte Vorgehen geprägt durch ein Experimentierverständnis, welches das Aufstellen von Hypothesen als ersten Schritt eines formalisierten Prozesses begreift. Die Rekonstruktionsergebnisse zum Protokollieren zeigen, dass das Protokoll von allen Gruppen als Mittel zur Strukturierung und Absicherung erarbeitet wird. Kontraste zeigen sich insofern, dass das Protokoll in manchen Gruppen als Aushängeschild für die Qualität ihrer Arbeit gerahmt wird, während die anderen Gruppen das Protokoll als pragmatisches Hilfsmittel in den Prozess einbinden. Die rekonstruierten handlungsleitenden Orientierungen werden von allen Mitgliedern einer Gruppe geteilt, was sich durch die Interaktionsanalyse als ein Teil der dokumentarischen Analyse zeigt. Die rekonstruierten handlungsleitenden Orientierungen werden am Ende mit den programmatischen Erwartungen an Forschendes Lernen in Beziehung gesetzt und es wird u. a. diskutiert, inwiefern eine Orientierung an Aufgabenerledigung und das Verständnis eines formalisierten Experimentierprozesses der Lernenden diesen Erwartungen entgegensteht. Unter Berücksichtigung des in der Arbeit spezifischen Settings werden Implikationen für Praxis und Forschung abgeleitet. Zuletzt wird die Bedeutung dokumentarischer Analyseansätze als Erweiterung bisheriger Erkenntniszugänge in der Naturwissenschaftsdidaktik diskutiert.

Item Type: Thesis (PhD thesis)
Translated abstract:
AbstractLanguage
In biology education, inquiry-based learning is recommended as a form of teaching/learning at schools and universities in order to achieve a deeper understanding of scientific reasoning and knowledge acquisition among learners – in contrast to traditional knowledge-mediating approaches. By independently going through the various phases of the (idealized) hypothetical-deductive research process, scientific thinking, manual skills and an understanding of the nature of science are to be promoted in the learners. The method of experimentation, which is also the subject of this study, is predominantly used in the context of inquiry-based learning. In addition to experimentation, a second practice that is taken into consideration is the keeping of records. Protocols are drawn up in the context of experimental laboratory activities in order to document them and make them replicable. In the context of inquiry-based learning, writing protocols is also seen as supportive to scientific thinking. Studies in science and biology education have so far investigated inquiry-based experimentation primarily on the basis of competence models with regard to learners' experimental skills, using various methods (e. g. written tests; qualitative-deductive analyses of performance assessments). Findings show that difficulties and deficits in inquiry-based experimentation and recording can be found in both pupils and teacher students. The present work aims to contribute to an expansion of the findings on experimentation and recording processes in the context of inquiry-based learning and focuses on biology teacher students, whose understanding of scientific knowledge acquisition is particularly relevant as later mediators in their own biology lessons. The students' collaborative experimentation and record-keeping are not categorized and evaluated prescriptively on the basis of existing competence models, but are examined using a reconstructive analysis procedure, the Documentary Method. The Documentary Method is characterized by the fact that, in addition to explicit knowledge (what is said and done?), it also enables access to the implicit, so-called action-guiding orientations (how is the topic dealt with and what unconsciously guides action?) of the students. The logic and patterns of action that emerge in social practice are reconstructed far from the normative expectations of inquiry-based learning, so that questions such as ‘What guides the students' actions in group work designed as inquiry-based learning?’ and ‘Is a research attitude visible among the students or is the situation characterized by other action-guiding orientations?’ can be answered by taking into account the interaction between the actors. Video recordings were made of four student group works in which an experiment was carried out together based on a given question and a selection of experimental materials. The students were also prompted to write a protocol. The analysis was then carried out using the Documentary Method, focusing on the two practices of ‘experimenting’ and ‘recording’. The results show that all student groups generally show an orientation towards task completion. In addition, their approach is characterized by uncertainty. The students are oriented towards the correctness of task completion and ensure this using the material provided. Differences between the groups with regard to the experimental approach are characterized by the fact that the approach is either hypothesis-based or material-based. The hypothesis-based approach is characterized by an understanding of experimentation that sees the formulation of hypotheses as the first step in a formalized process. The reconstruction results for keeping records show that the protocol is developed by all groups as means to provide structure and security. Contrasts are evident in that the protocol is framed in some groups as a ‘flagship’ for the quality of their work, while the other groups use the protocol in a pragmatic manner. The reconstructed action-guiding orientations are shared by all members of a group, which is shown by the interaction analysis as part of the documentary analysis. Finally, the reconstructed action-guiding orientations are related to the programmatic expectations of inquiry-based learning and it is discussed, among other things, to what extent an orientation towards task completion and the understanding of a formalized experimentation process of the learners is contrary to these expectations. Additionally, the importance of documentary approaches in science education is discussed. Taking into account the specific setting of this work, implications for practice and research are derived.English
Creators:
CreatorsEmailORCIDORCID Put Code
Olschewski, Petrapolschew@uni-koeln.deorcid.org/0000-0001-9459-3342UNSPECIFIED
URN: urn:nbn:de:hbz:38-732392
Date: 2024
Language: German
Faculty: Faculty of Mathematics and Natural Sciences
Divisions: Faculty of Mathematics and Natural Sciences > Department of Mathematics and Science Education > Institute of Biology Education
Subjects: Education
Natural sciences and mathematics
Life sciences
Uncontrolled Keywords:
KeywordsLanguage
Forschendes LernenGerman
ExperimentierenGerman
ProtokollierenGerman
Dokumentarische MethodeGerman
GruppenarbeitGerman
LehrkräftebildungGerman
Date of oral exam: 3 June 2024
Referee:
NameAcademic Title
Schlüter, KirstenProf. Dr.
Rabe, ThoridProf. Dr.
Refereed: Yes
URI: http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/73239

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