Kolbinger, Florian (2003). Das russische Seminar für Römisches Recht bei der juristischen Fakultät der Universität Berlin in den Jahren 1887-1896. PhD thesis, Universität zu Köln.
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Abstract
Am russische Seminar für Römisches Recht bei der juristischen Fakultät der Universität Berlin wurden zwischen 1887 und 1896 27 "russiche Unterthanen" hauptsächlich von den drei Direktoren des Instituts, Dernburg, Eck und Pernice im römischen Recht ausgebildet. Ziel der Ausbildung in Berlin war es, den gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden Mangel an Lehrkräften dieses Faches an den russischen Universitäten zu beheben. 19 der in Berlin Ausgebildeten kehrten nach Russland zurück und lehrten zumindest zeitweise an einer der russischen juristischen Fakultäten römisches Recht. Ausgehend von dieser Befund wird die Arbeit von drei Fragestellungen geleitet: Weshalb sollten russische Universitätsabsolventen in Berlin römisches Recht erlernen, um es an heimischen Universitäten zu unterrichten. Wie lief die Ausbildung in Berlin ab, welche Schwerpunkte wurden gesetzt und was war aus Sicht der deutschen Professoren an persönlichen und fachlichen Qualifikationen von Bedeutung für die Lehre dieses Faches. Die dritte Frage ist auf das Wirken der in Berlin Ausgebildeten in Russland gerichtet. Zu diesem Zweck werden die Lebensläufe der Stipendiaten nach ihrer Rückkehr verfolgt und das Werk ausgewählter Berliner Schüler kurz analysiert (Petra?ickij, Grimm, Guljaev, Pergament, Pokrovskij). Zur Beantwortung der ersten Frage wird der Ist- mit dem Soll-Stand der Lehrer des römischen Rechts verglichen. Daraus ergibt sich, dass ca. zwei Drittel der erforderlichen Lehrkräfte fehlten, was den unmittelbaren Anlass für die Gründung des Berliner Seminars darstellte. Es wird ausgeführt, dass die universitäre Ausbildung in Russland allgemein schwach verankert und war. Darüber hinaus war ein juristisches Universitätsstudium zur Bekleidung eines Richteramtes bzw. zur Ausübung anwaltlicher Tätigkeit erst nach der Justizreform von 1864 erforderlich geworden. Neben diesen allgemeinen Gründen wird dargelegt, weshalb die die Universitätsausbildung maßgeblich gestaltenden Personen (Tolstoi, Katkov, Georgievskij) eine erhebliche Ausweitung des Unterrichts im römischen Recht für sinnvoll erachteten. Entgegen der landläufigen Ansicht war das es nicht das Hauptziel, die unruhigen russischen Studenten in konservativem Geist zu erziehen. Vielmehr war beabsichtigt, durch die Beschäftigung mit dem im Lauf der Jahrhunderte fortgebildeten römischen Recht, das als Grundlage des Zivilrechts europaweit unumstritten war, den russischen Studenten in die Lage zu versetzen, die amorphe Masse des bestehenden russischen Rechts zu strukturieren und wissenschaftlich zu durchdringen. Das Fernziel der Beschäftigung mit dem römischen Recht war also letztlich die verbesserte Bearbeitung und Systematisierung des russischen Rechts. Dass das römische Recht sich hierfür die Grundlage bildete war zur damaligen Zeit unumstritten und wurde auch von den Seminaristen selbst nie anders beurteilt. Darüber hinaus wird nachgewiesen, dass es sich bei der in der Arbeit behandelten Form der Ausbildung von Professorren um eine Besonderheit des russischen Unterrichtswesens handelte: Seit dem 16. Jahrhundert kamen Russen teilweise aus eigener Initiative, hauptsächlich jedoch aufgrund staatlicher Entsendung an die Universitäten Westeuropas, um dort zu lernen und das Erlernte nach ihrer Rückkehr in Russland anzuwenden und zu verbreiten. Ziel dieser Initiativen war es stets, die gegenüber den anderen europäischen Mächten schmerzlich empfundene wissenschaftlich-technische Rückständigkeit zu verringern. Nach Darstellung dieses russischen Typus der Professorenausbildung wird auf die Verhandlungen eingegangen, die letztlich zur Eröffnung des Seminars führten. Der zweite Teil der Arbeit behandelt den Gang der Ausbildung in Berlin. Zu Beginn werden kurz die Herkunft, die Ausbildung sowie die Sprachkenntnisse der verschiedenen Seminaristen dargestellt. Weiter wird auf das Auswahlverfahren eingegangen, das sie durchliefen, um als Stipendiat angenommen zu werden. Nach Darlegung dessen, was inhaltlich gelehrt wurde werden die Zeugnisse untersucht, die die Direktoren den Seminaristen nach ihrer meist dreijährigen Ausbildung, die mit einer größeren wissenschaftlichen Arbeit abgeschlossen wurde, ausstelltem. Daraus geht hervor, dass die deutschen Ausbilder in erster Linie das zielstrebige Erarbeiten eines praktisch verwendbaren Ergebnisses schätzten. Theoretische Abhandlungen, die nicht zur Lösung des konkreten Problems beitrugen, erachteten sie als "Grübeleien". Dieser Teil schließt mit Ausführungen darüber, dass die Ausbildung der Seminaristen in der russischen Öffentlichkeit teils mißbilligend beobachtet wurde. Weshalb sich die drei Direktoren genötigt sahen, eine klärende Pressenotiz zu verfassen. Demgegenüber waren die offiziellen Reaktionen auf die in den neun Jahren geleistete Arbeit ausgesprochen positiv. Nach Rückkehr der Seminaristen war man in der Lage, die Lehre des römischen Rechtes erheblich auszuweiten. Der dritte Teil behandelt das Wirken der Seminaristen in Russland. Zunächst werden die typischen Karriereverläufe dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die in Berlin Ausgebildeten aufgrund der Einreichung der in Deutschland angefertigten Arbeit schnell zum Magister promoviert wurden und einen Ruf als außerordentlicher Professor an eine russische Universität erhielten. Die langen, an Russlands Universitäten finanziell meist prekären Jahre der Privatdozentur waren für sie damit erheblich verkürzt. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Qualifikationsanforderungen mit der wachsenden Entfernung von den beiden Zentren des Zarenreiches, St.Petersburg und Moskau fiel. An entlegenen, kleinen Fakultäten war man eher bereit, über förmliche Qualifikationsanforderungen hinwegzusehen als etwa in St.Petersburg. Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass der Ruf auf eine ordentliche Professur die Doktorpromotion voraussetzte. Da die vormaligen Sitpendiaten an den studentenreichen, juristischen Fakultäten eines der Kernfächer lehrten, verfügten sie aufgrund der Vorlesungsgebühren über ein sehr gutes Einkommen. Dies gilt insbesondere für die Professoren, die an den größten Fakultäten in Moskau uns St.Petersburg lehrten. Hinsichtlich der Lehre des römischen Rechts griffen die Berliner Seminaristen auf die in Deutschland erlernten Techniken und Erfahrungen zurück. Der Unterricht folgte deutschen Vorbildern. Mit Ausnahme von Petra?ickij hielten die Seminaristen auch praktische Übungen nach dem Vorbild von Jhering. Darüber hinaus ist eine erhebliche Verbesserung des Angebotes an Lehrmitteln zu verzeichnen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte der russische Student auf eine Vielzahl verschiedener Lehrbücher und Kompendien zurückgreifen. Daneben fanden auch von Studenten verfasste Zusammenfassungen von Vorlesungen und Prüfungen Verbreitung. Die Tätigkeit der Seminaristen führte insgesamt zu einer erheblichen Verbreitung und Belebung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem römischen Recht in Russland. Neben ihrer Tätigkeit als Universitätslehrer engagierten sich nach 1905 viele der vormaligen Stipendiaten politisch. Sie traten für das auf eine konstitutionelle Monarchie gerichtete Programm der Kadettenpartei ein und waren aktiv an dessen Umsetzung beteiligt. Das Erstarken des zaristischen Systems und seine Reaktion auf das Verhalten prominenter Professoren führte zu einem Kahlschlag in den Reihen der Universitätslehrer und der erneuten Gründung von Professoreninstituten, unter anderen in Berlin. Die Zahl der noch an russischen Universitäten lehrenden vormaligen Seminaristen verminderte sich von 12 im Jahr 1911 auf 7 bei Ausbruch des ersten Weltkrieges. Betrachtet man die Werke ausgewählter Seminaristen, so stimmen sie in der Bejahung individueller Freiheit und Verantwortung, der Gleichheit vor dem Gesetz sowie der Ausübung staatlicher Macht durch Gesetze und aufgrund von Gesetzen überein. Ansatzweise lässt sich in den Werken eine Abkehr vom herrschenden Positivismus verfolgen. Aufgrund der drängenden Probleme in Russland und der Eindrücke des ersten Weltkrieges lässt sich bei Grimm, Petra?ickij und Pokrovskij eine Hinwendung zu einem naturrechtlichen Ansatz beobachten, wobei das christliche Liebesideal Ausgangspunkt und Maßstab ihrer Überlegungen war. Unabhängig davon stechen die Werke von Petra?ickij und Pokrovskij durch ihre Originalität hervor. Petra?ickij weil er ausgehend von den Arbeiten am deutschen BGB dafür eintrat, dass Gesetze nach einer wissenschaftlich fundierten Rechtspolitik zu erlassen seien, die wiederum auf einer noch zu entwickelnden, psychologisch begründeten Rechtstheorie basieren solle. Pokrovskij weil er in seinen Schriften das Spektrum dessen, was zu Beginn des 20. Jahrhunderts in St.Petersburg, als dem "Laboratrium der Moderne", denkbar war, ausschöpfte und geradezu in visionärer Weise die Folgen der Herrschaft einer Klasse und der sie führenden Partei für Russland vorhersah. Am Beispiel des in Berlin gegründeten Seminars und des akademischen Wirkens der Schüler in Russland beleuchtet die Arbeit die in Russland vor 1917 bestehende Juristenausbildung als Teilaspekt der russischen vorrevolutionären Rechtskultur. Erfolge bei der qulitativen Steigerung des Niveaus der Juristenausbildung sowie der Rechtswissenschaften waren nur kurzlebig. Die Professoren und ihre vornehmlich von der Kadettenpartei vertretenen Ideale waren Fremdkörper im zaristischen Russland. Die für eine auf Gleichberechtigung basierende Rechtsordnung maßgeblichen Freiheiten bestanden nicht. Mit der Oktoberrevolution wurden erste Ansätze einer solchen Rechtsordnung beseitigt. Eine Notwendigkeit sich wissenschaftlich mit dem römischen Recht als Grundlage des Zivilrechts auseinanderzusetzen bestand damit nicht mehr.
Item Type: | Thesis (PhD thesis) | ||||||||
Translated abstract: |
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Creators: |
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URN: | urn:nbn:de:hbz:38-9394 | ||||||||
Date: | 2003 | ||||||||
Language: | German | ||||||||
Faculty: | Faculty of Law | ||||||||
Divisions: | Ehemalige Fakultäten, Institute, Seminare > Faculty of Law > no entry | ||||||||
Subjects: | Law | ||||||||
Date of oral exam: | 17 July 2001 | ||||||||
Referee: |
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Refereed: | Yes | ||||||||
URI: | http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/939 |
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