Lange, Barbara (2024). Determinanten einer unfreiwilligen Unterbringung nach PsychKG unter besonderer Berücksichtigung des Wohnortes von Menschen mit psychischen Erkrankungen Analyse von Fällen der LVR-Klinik Langenfeld. PhD thesis, Universität zu Köln.

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Abstract

Hintergrund: Um eine Reduktion von unfreiwilligen stationären Unterbringungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erreichen, ist es von besonderer Bedeutung Risikofaktoren zu identifizieren, um im Anschluss präventive Maßnahmen ausarbeiten zu können und eine Reduktion der Zwangseinweisungen zu erreichen, welche oftmals von Patient*innen als demoralisierender Eingriff in ihre Rechte empfunden werden. Neben patientenbezogenen Risikofaktoren können auch institutionsbezogene, sozioökonomische Umgebungsfaktoren sowie weitere systemische Faktoren wie die Arbeitsweise von Gerichten, Polizei und Rettungsdiensten eine Rolle spielen. Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit war es Determinanten für eine unfreiwillige stationäre Unterbringung nach PsychKG (Psychisch-Kranken-Gesetz) in einer großen kommunalen psychiatrischen Klinik zu ermitteln. Das Einzugsgebiet der Klinik umfasst groß- und kleinstädtische Wohngebiete, für welche drei unterschiedliche Amtsgerichte zuständig sind. Dabei wurde das Augenmerk insbesondere auf die verschiedenen Teile des Versorgungssektors der Klinik und die mögliche Bedeutung struktureller Unterschiede zwischen den Städten und Gemeinden im Versorgungsgebiet gerichtet. Die Analysen fokussierten somit auf mögliche Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit von unfreiwilligen Unterbringungen nach PsychKG und bestimmten Wohngebieten sowie zuständigen Amtsgerichten, sie berücksichtigen aber auch individuelle und strukturelle patient*innenseitige Faktoren wie die Diagnosen sowie soziodemographische und sozioökonomische Merkmale. Methodik: Die vorliegende Studie verwendet Patient*innendaten, welche in einer früheren Studie im Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 30.06.2016 erfasst worden waren. Es handelte sich um klinische und soziodemographische Daten, die aus den Patient*innenakten von stationären Fällen der allgemeinpsychiatrischen Abteilungen, der Suchtabteilung, der geronto-psychiatrischen Abteilung und der Abteilung für Menschen mit einer Intelligenzminderung eines psychiatrischen Fachkrankenhauses (LVR-Klinik Langenfeld; LVR: Landschaftsverband Rheinland) extrahiert worden waren. Es waren alle Fälle einbezogen worden, welche entweder auf freiwilliger Rechtsgrundlage oder per PsychKG in stationärer Behandlung waren. In der vorliegenden Promotionsarbeit wurden die Fälle nach den einzelnen Wohnorten betrachtet und sie wurden zusätzlich in Fälle aus kleineren Großstädten (Leverkusen und Solingen), aus großen Mittelstädten (Langenfeld, Hilden), aus kleinen Mittelstädten (Erkrath, Haan, Leichlingen, Mettmann, Monheim am Rhein), und einer Kleinstadt (Burscheid), sowie in Fälle ohne festen Wohnsitz (o.f.W.) oder mit Wohnsitz außerhalb des Versorgungsgebiets der LVR-Klinik Langenfeld unterteilt. Ferner wurden die Fälle nach dem für die Unterbringung zuständigen Amtsgericht unterteilt. Für jeden Fall wurden fallbezogene Patient*inneninformationen (Alter, Geschlecht, Haupt- und Nebendiagnosen etc.), soziodemographische (Familienstand, Partnerschaft, Kinder etc.) und sozioökonomische Daten (Schulausbildung, Berufsausbildung, überwiegender Unterhalt, etc.) sowie Daten zu den Unterbringungsumständen und Vorbehandlungen/Betreuung (durch wen wurde die Aufnahme veranlasst, frühere Suizidversuche, liegt eine Behandlungsvereinbarung/Patient*innenverfügung vor, etc.) analysiert. Schließlich wurden die zugänglichen statistischen Daten zur geographischen und sozioökonomischen Struktur der einzelnen Städte aus dem Versorgungsgebiet der Klinik zusammengestellt und mit Bezug zu den PsychKG-Quoten bei den entsprechenden Fällen betrachtet. Neben deskriptiven Analysen wurde eine Regressionsanalyse gerechnet, um die Bedeutung der einzelnen Merkmale als Risikofaktoren für eine unfreiwillige Unterbringung zu ermitteln. Ergebnisse: Die Stichprobe umfasste insgesamt 1.588 Fälle, davon lag bei 247 Fällen eine Unterbringung nach dem PsychKG vor, dies entspricht einer Quote von 15,6 %. Die Quote variierte in Abhängigkeit vom Wohnort zwischen 6 % (Mettmann, kleine Mittelstadt) und 23,3 % (Haan, ebenfalls kleine Mittelstadt). Die Gruppierung der Wohnorte nach ihrer Größe sowie die Inspektion vorliegender statistischer Daten zur geographischen und sozioökonomischen Struktur der einzelnen Städte ergab keine plausible Erklärung für die Unterschiede in der PsychKG-Quote. Als patient*innenseitige Determinanten für eine unfreiwillige stationäre Unterbringung konnten identifiziert werden: Alter unter 40 oder über 60 Jahre, die Diagnose einer Schizophrenie (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)-10: F2), einer psychoorganischen Störung (ICD-10: F0) oder einer Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F6) und die Kombination der Diagnosen einer Abhängigkeitserkrankung (ICD-10: F1) und einer Schizophrenie (ICD-10: F2), ferner Kinderlosigkeit, Erwerbslosigkeit, Altersrente, mehrere Suizidversuche in der Anamnese und das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht, sowie die Einweisung durch ein Gesundheitsamt, ein anderes Krankenhaus (KH) oder einen Notarzt/eine Notärztin. An protektiven Faktoren konnten ermittelt werden: die Diagnose einer Abhängigkeitserkrankung (ICD-10: F1) oder einer affektiven Störung (ICD-10: F3), Erwerbstätigkeit und Teilzeitarbeit, keine Suizidversuche in der Anamnese, kein/e gesetzliche/r Betreuer*in, Betreuung durch Ambulante Psychiatrische Pflege (APP) oder Betreutes Wohnen (BeWo), sowie schließlich die Einweisung durch eine/n ambulante/n Psychiater*in oder Psycholog*in, einen Hausarzt/eine Hausärztin oder durch den/die Patient*in selbst. In der Regressionsanalyse zeigten sich als bedeutsamste Faktoren die Einweisung durch das Gesundheitsamt oder ein anderes allgemeines KH und das Vorliegen einer psycho-organischen Störung (ICD-10: F0), einer Schizophrenie (ICD-10: F2) und einer Persönlich-keitsstörung (ICD-10: F6). Schließlich wurden die Fälle aus den drei Wohnorten mit der höchsten PsychKG-Quote mit den Fällen aus den drei Wohnorten mit der niedrigsten PsychKG-Quote verglichen. Die Fälle aus den drei Wohnorten mit der höchsten PsychKG-Quote wurden insgesamt häufiger durch das Gesundheitsamt und durch ein allgemeines KH eingewiesen. Hinsichtlich der weiteren patient*innenseitigen Faktoren wurden keine Unterschiede zwischen den Fällen aus den drei Wohnorten mit der höchsten und mit der niedrigsten PsychKG-Quote festgestellt. Schlussfolgerung: Die erheblichen Unterschiede im Anteil der unfreiwillig untergebrachten Patient*innen aus den verschiedenen Teilen des Versorgungsgebiets der Klinik können weder mit der geogra-phischen und sozioökonomischen Struktur der einzelnen Städte noch mit den hier erhobenen patient*innenseitigen Merkmalen aus der Routinedokumentation erklärt werden. Der höhere Anteil an Fällen mit Einweisung durch das Gesundheitsamt oder ein allgemeines Krankenhaus bei Patient*innen aus Wohngebieten mit hoher PsychKG-Quote könnte möglicherweise auf systemische Unterschiede in der Versorgungsorganisation und -qualität zwischen den verschiedenen Städten des Versorgungsgebietes hinweisen. Weiterführende Untersuchungen mit zusätzlicher Erhebung weiterer (Nicht-Routine-) Daten sowie qualitative Untersuchungen wären wünschenswert, um der Frage nach den Ursachen der Variabilität der Unterbringungs¬quoten nachzugehen. Als Handlungsempfehlungen wären deeskalierende Schulungen des Personals insbesondere von allgemeinen Krankenhäusern im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen, der Ausbau von Konsiliardiensten, die Möglichkeit von kurzfristigen Kriseninterventionen, das Erstellen von Behandlungs¬vereinbarungen sowie die Implemen¬tierung von stationsäquivalenten psychiatrischen Behand¬lungen (StäB) zu nennen. Positiv ist zu erwähnen, dass als protektiver Faktor für eine unfreiwillige stationäre Behandlung die Installation von APP/BeWo ermittelt werden konnte. Dieses Hilfsangebot sollte unbedingt beibehalten werden.

Item Type: Thesis (PhD thesis)
Creators:
CreatorsEmailORCIDORCID Put Code
Lange, Barbarabarbara.lange1@lvr.deUNSPECIFIEDUNSPECIFIED
URN: urn:nbn:de:hbz:38-732152
Number of Pages: 85
Date: 22 April 2024
Place of Publication: Köln
Language: German
Faculty: Faculty of Medicine
Divisions: COPT.ZENTRUM
Subjects: Medical sciences Medicine
Uncontrolled Keywords:
KeywordsLanguage
PsychKGUNSPECIFIED
unfreiwillige stationäre AufnahmenUNSPECIFIED
Date of oral exam: 22 April 2024
Referee:
NameAcademic Title
Gouzoulis-Mayfrank, EuphrosyneProfessorin Dr. med.
Jessen, FrankUniversitätsprofessor Dr. med.
Refereed: Yes
URI: http://kups.ub.uni-koeln.de/id/eprint/73215

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